Entlang des Flusses Nervión liegt es da. Eine Blume aus gefaltetem Titan, Beton und Stahl. Hingeworfen wie eine zerknüllte Blechdose, die zufällig auf einer Seite liegenblieb. Das Guggenheim Museum in Bilbao erscheint unwirklich. Silbrig glänzend wie ein Ufo. Als wäre es direkt vom Himmel gefallen.
Die Straßen von Bilbao haben unaussprechliche Namen. Die Iparraguirre Kalea, eine der Hauptachsen der Stadt, lässt bereits von Weitem das Museum erkennen. Wenig romantisch sind die Gebäude der Stadt, funktionale Wohnhäuser, erbaut für die Arbeiter der Schiffswerften. Ende der achtziger Jahre wird auch Bilbao Opfer der industriellen Depression. Der Niedergang der Stahlkocher und Schiffsbauindustrie kostet Hunderttausende die Jobs. In Bilbao trifft es jeden Vierten. Ein Ausweg aus der Krise ist lange nicht in Sicht.
Das ändert sich erst, als die Guggenheim Foundation in New York ihre Pläne für die Expansion nach Europa präsentiert. Den Zuschlag für die architektonische Umsetzung erhält Frank O. Gehry. Mit Hilfe eines Computerprogramms das ursprünglich für den Flugzeugbau entwickelt wurde, entwirft er einen Gebäudekomplex mit asymmetrischen Oberflächen. Wie Wellen von fließendem Wasser ergießen sich Glas und Metallfronten. Es ist nicht einfach nur ein Museumsbau wie es unzählige weltweit gibt. Es ist eine Ikone der modernen Architektur.
Die geschuppte Oberfläche aus Titan schimmert im Licht. Die raumgreifende Schönheit lädt zu Assoziationen ein. Aus unterschiedlichen Perspektiven wirkt es mal maskulin, mal feminin. Es gibt keine klare Abgrenzung, was Front und Rückseite ist. Keine Ecke, die dem Betrachter deutlich macht, welche Seite er gerade betrachtet. Die organische Form erinnert an einen schlafenden Drachen. Im Inneren erhebt sich der Raum wie eine Kathedrale. Eine Kirche der Kunst. Wie Jonas vom Wal wird der Besucher verschluckt. Rippen aus weißem Beton und Stahl strecken sich in die Höhe. Enorme Glasfassaden beleuchten raffiniert die offenen Ebenen. In einem der Säle ist Richard Serra ́s „Materie der Zeit“ zu sehen. Wuchtige Stahlplatten in mehreren Schichten krümmen sich in die Länge. Die Monumentalskulptur dient dazu, den Raum zu konstruieren. Er gibt der Leere einen Raum, wie Serra selbst sagt. Die 500 Tonnen schwere Konstruktion schöpft ihre Spannung aus der Balance seiner Geometrie und der Schwere des Objekts.
Ich betrete die Galerie im zweiten Stock. Anselm Kiefer ́s „Sonnenblumen“ verwelken über den Besuchern. Das großformatige Gemälde hängt einsam im Foyer, nach rechts geht es zur Sonderschau der Pariser Schule. Die Sammlung spannt einen Bogen vom Impressionismus zum Kubismus. Große Künstler sind zu bestaunen, berühmte Bilder von Picasso, Modigliani, Braque und etlichen Weiteren. Viele der Bilder thematisieren den politischen und kulturellen Umbruch der damaligen Zeit.
Dunkle Wolken beherrschen den Himmel als ich wieder nach draußen trete. Ich wende mich Richtung Fluß, um das Museum nochmal auf mich wirken zu lassen. Eine Skulptur aus glänzenden Edelstahlkugeln fängt meinen Blick. Fast 15 Meter hoch ist Anish Kapoor ́s „Tall Tree and the Eye“. Es wirkt filigran, leicht, weiblich. Schwerelos türmen sich die glänzenden Kugeln und reflektieren alles um sie herum. Von meiner Perspektive aus betrachtet, wirkt es als würde sich das Museumsgebäude dem Kunstwerk entgegen strecken. Als wäre es ein Mann, der sich zu einer schönen Dame hinüber beugt.
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